Kann ein menschliches Organ auf Einzelzellebene kartiert werden? Wie unterschiedlich sind einzelne Zellen zwischen Menschen? DZL-Forscher am Standort München (CPC-M) und ein internationales Team haben sich dieser Herausforderung gestellt und mit Hilfe von Künstlicher Intelligenz (KI) den „Human Lung Cell Atlas“ entwickelt. Dieser klärt über die Diversität einzelner Zellen auf und erlaubt Rückschlüsse auf die Lungenbiologie von gesunden und kranken Organen. Somit ist er der erste Einzelzell-Atlas eines großen Organs. Erstellt wurde er im Rahmen des „Human Cell Atlas“ (HCA), einem weltweiten Gemeinschaftsprojekt zur Kartierung des gesamten Körpers. Die Ergebnisse sind in Nature Medicine veröffentlicht.
Die in den letzten zehn Jahren entwickelten Einzelzelltechnologien ermöglichen es Forscherinnen und Forschern Gewebe mit der Auflösung einzelner Zellen zu untersuchen und so Einblicke in die verschiedenen Funktionen der Zellen zu gewinnen, die ein ganzes Organ ausmachen. Die Erstellung eines Einzelzelldatensatzes ist jedoch zeitaufwändig und teuer, und in der Regel werden nur wenige Individuen je Studie aufgenommen. Ein internationales Forscherteam hat nun einen Einzelzell-Atlas der menschlichen Lunge erstellt, indem die Wissenschaftler:innen 49 verschiedene, veröffentlichte und neu erstellte Datensätze kombiniert haben. Dieser zeigt die große Vielfalt an Zellen und Zelltypen in der Lunge auf.
Kräfte bündeln durch das Zusammenführen von Datensätzen
Prof. Fabian Theis, Direktor des Instituts für Computational Biology bei Helmholtz Munich und Principal Investigator im DZL, erklärt das Projekt: „Wir haben einen ersten ganzheitlichen Referenzatlas der menschlichen Lunge erarbeitet, der Daten von mehr als hundert gesunden Menschen enthält und zeigt, wie sich die Zellen von Individuen je nach Alter, Geschlecht und Rauchverhalten unterscheiden. Die Anzahl der berücksichtigten Zellen und Personen ermöglicht es uns nun, seltene Zelltypen zu erkennen und neue, noch nicht beschriebene Zellzustände zu identifizieren.“ Dr. Malte Lücken, Forschungsgruppenleiter am Institut für Computational Biology, sowie am Institut für Lung Health & Immunity bei Helmholtz Munich, fügt hinzu: „Ein ganzheitlicher Organ-Atlas benötigt eine Vielzahl an Datensätzen, um die Diversität zwischen Zelltypen und Individuen aufzugreifen, jedoch stellte uns die Kombination von verschiedenen Datensätzen vor eine große Herausforderung. Wir haben eine Benchmarking-Pipeline entwickelt, um die optimale Methode zur Integration aller Datensätze in den Atlas zu finden. Dabei haben wir auf künstliche Intelligenz gesetzt und Wissen und Daten aus nahezu 40 vorhandenen Lungenstudien kombiniert.“
Der Kern des „Human Lung Cell Atlas“ besteht zwar aus Daten gesunder Lungen, aber die Forschenden haben auch Datensätze von mehr als 10 verschiedenen Lungenkrankheiten einbezogen und maschinelles Lernen angewendet für die Projizierung auf die gesunden Daten, um so Krankheitszustände besser analysieren zu können. Dadurch bietet der Atlas ein einzigartiges Bild davon, wie sich kranke Lungen von gesunden unterscheiden, und liefert Hinweise auf potenzielle therapeutische Ziele.
Eine zentrale Ressource für das Verständnis der menschlichen Lunge
Die Forschenden haben den Atlas vollständig öffentlich zugänglich gemacht. Er soll als zentrale Ressource für Ärzte und Wissenschaftler dienen, die die Lungenbiologie in Gesundheit und Krankheit besser verstehen und weitere Studien entwickeln wollen. Dr. Alexander Misharin, ein weiterer Hauptautor und assoziierter Professor für Medizin an der Northwestern University Feinberg School of Medicine, USA, sagt: „Der ‚Human Lung Cell Atlas‘ bietet eine wichtige Ressource für die wissenschaftliche und medizinische Gemeinschaft. Neue Krankheitsdaten können für Forschende frei zugänglich auf dem HLCA projiziert werden, was die Forschung im Bereich der Lungenbiologie und -krankheiten verändert. Zudem stellt der HLCA als erster vollständiger Referenzatlas eines wichtigen Organs einen Meilenstein auf dem Weg zu einem vollständigen menschlichen Zellatlas dar. Dieser wird unser Verständnis von Biologie und Krankheiten verändern und den Grundstein für eine neue Ära der Gesundheitsversorgung legen.“
Insgesamt ist der „Human Lung Cell Atlas“ das erste Beispiel dafür, wie groß angelegte Zellatlanten die aktuelle und zukünftige Forschung zu Gesundheit und Krankheit des Menschen voranbringen können.